3.B DIE ERFAHRUNG EINER SYNAGOGENGEMEINDE BEIM SPONSORING VON FLÜCHTLINGEN MIT ANDERER GLAUBENSRICHTUNG
Ort: Oakville, Ontario
Name der Sponsoring-Gruppe: Abraham’s Children Together (ACT)
Art der Sponsoring-Gruppe: Sponsorship Agreement Holder
Anzahl der Sponsoren in der Gruppe: Drei Organisationen
Sponsoring seit: 2015
Beschreibung der Sponsoring-Gruppe: Shaarei Beth
El Synagogue in Partnerschaft mit der Maple Grove United Church und Canadians in Support of Refugees in Dire NeedWebsite: http://www.sbe.ca
Interviewpartner: Rabbi Stephen Wise

Sponsor-Interview
Wie war es, jemanden zu sponsern, den Sie nicht kennen?
Es war sehr interessant, weil es für eine jüdische Gruppe ungewöhnlich ist, einen syrischen Flüchtling zu sponsern. Nach einer Zeit der Überlegung und Diskussion stellten wir jedoch fest, dass Religion, Geschlecht, Alter oder ethnischer Hintergrund der Flüchtlinge keine Rolle spielten. Sie waren Menschen und als jüdisches Volk wissen wir nur allzu gut, dass wir diskriminiert wurden, als wir im vergangenen Jahrhundert als Flüchtlinge versuchten, nach Kanada zu kommen. Wir haben uns daher entschlossen, diese Familie unabhängig von ihrem Herkunftsland oder islamischen Hintergrund zu unterstützen.
Was hat Sie dazu gebracht, mit einer anderen Glaubensgruppe zu arbeiten, um ein Sponsoring-Projekt zu übernehmen?
Unsere Glaubensgruppen haben in den letzten Jahren oft im interreligiösen Dialog und Austausch zusammengearbeitet. Wir haben den Vorhang sozusagen aufgezogen, indem wir uns gegenseitig in unseren Gotteshäusern besuchen, uns zu persönlichen Gesprächen treffen und einen offenen Dialog über Themen führen, die uns trennen und uns näher zusammenbringen. Nach dem Aufbau dieses Vertrauens und dieser Brüderlichkeit war es nicht schwer, gemeinsam eine Flüchtlingsfamilie zu sponsern.
Wie motiviert der Glaube Sie, diese Partnerschaft fortzuführen und Flüchtlinge gemeinsam zu sponsern?
Sich um Fremde zu kümmern, ist einer der höchsten Werte des Judentums. Dies ist die Grundlage unseres Glaubens. Wir erinnern uns daran, dass auch wir im Land Ägypten Fremde waren und als Sklaven behandelt wurden. Als wir ein freies Volk wurden, entschlossen wir uns, an diese Erfahrung anzuknüpfen und Fremden niemals die Behandlung angedeihen zu lassen, die wir einstmals erfahren mussten. Auch wenn dies vor Jahrtausenden geschah, gilt dieses Gebot zu jeder Zeit, also auch heute. Das Judentum erinnert uns daran, dass wir den Gast willkommen heißen, den Hungrigen Nahrungsmitteln geben und den Unterdrückten helfen müssen – und das Flüchtlings-Sponsoring ist der Inbegriff für das Ausleben dieser Werte.
Welche Vorteile hat eine glaubensübergreifende, partnerschaftliche Zusammenarbeit?
Wir hatten bereits ein gewisses Maß an Vertrauen aufgebaut und die Zusammenarbeit hat unsere Verbindung noch stärker werden lassen. Wir unternahmen gegenseitige Besuche unserer Gotteshäuser, als die Flüchtlingsfamilie nach Kanada kam und die Glaubensgemeinschaften treffen wollte, von denen sie unterstützt wurden. Seither haben wir weitere interreligiöse Erfahrungen für die Menschen in Oakville und Halton geschaffen, wie z. B. ein interreligiöses Ferienlager und ein interreligiöser Friedensmarsch.
Darüber hinaus haben wir uns im Krisenfall, wie nach dem Moschee-Anschlag in Québec im Januar 2017 schnell mobilisiert und gemeinsam eine angemessene Reaktion geplant, bei der sich Menschen um die örtliche Moschee aufstellten und an den Händen hielten, um in dieser Zeit des Hasses und der Gewalt unsere Unterstützung für alle Muslime auszudrücken.
Welche Herausforderungen gibt es unter anderem?
Anfänglich gab es eine gewisse Zurückhaltung bei einigen Mitgliedern der Gemeinschaft, auf Menschen aus [Syrien] zuzugehen. Darüber hinaus gab es auch einige Herausforderungen in Kanada. Bei unserer Wohnraumsuche machten wir die Erfahrung, dass einige Vermieter nicht an eine große Flüchtlingsfamilie vermieten wollten. Bei unserer Arbeitssuche stellten wir fest, dass einige Unternehmen zögerlich bei der Einstellung von Flüchtlingen waren. Aber das war eher die Ausnahme als die Regel: Wir hatten bei der Suche nach Wohnraum, Arbeit, Schulen und Gesundheitsressourcen mehr positive als negative Erfahrungen zu verzeichnen.
Wie viele Sponsoring-Projekte haben Sie gemeinsam durchgeführt?
Dies war das einzige Projekt, aber wir haben andere Gruppen mit Führung und Beratung unterstützt. Unsere Synagoge wurde dann ein unterstützender Sponsor einer anderen lokalen Gruppe und wir besprechen derzeit, ob wie eine weitere Familie sponsern.
Wie wirkt sich diese Partnerschaft auf die von Ihnen gesponserten Flüchtlinge aus?
Die Familie war überwältigt, dass eine jüdische und christliche Gruppe von ihrem Schicksal Kenntnis hatte und bereit war, sowohl die Mittel aufzubringen als auch sie hierher zu bringen. Als ich die Kinder traf und über das Judentum und Israel sprach, konnten sie nicht fassen, dass wir ihnen halfen und begegneten unserem Glauben mit Neugier. Kurz nach ihrer Ankunft wurde die Familie eingeladen, bei einem unserer Gottesdienste geehrt zu werden. Unsere Gemeinde kam, um sie zu treffen, und der jüngste Sohn sprach wunderschöne Dankesworte. Im Raum blieb kein Auge trocken. Wir bestellten Essen aus Nahost, das sie mit Freude entgegennahmen, aber eine bedeutungsvollere Geste erfolgte seitens der Mutter der Familie, die in der Synagoge ein besonderes, aus sieben Schichten bestehendes Dessert buk, das wir alle immens genossen.
Wie war die Ankunft und wie waren die ersten Wochen der Flüchtlinge?
Die Ankunft war sehr aufregend und passierte so schnell. Wir wussten, dass es jeden Tag sein konnte, aber wir mussten alles stehen und liegen lassen und aufbrechen. Ein Mitglied der Kirche beherbergte die Flüchtlingsfamilie in den ersten Wochen, bis ihr neues Haus geräumt und fertig war.
Ich denke daran, wie ich die Familie am Flughafen angetroffen habe: Sie war zwar sehr glücklich, aber immer noch überwältigt von dem, was passierte. Der Tag, an dem sie in ihr Haus zogen , war ein besonderer Moment. Wir hatten den Umzugswagen bestellt und brachten Möbel in das Haus und sie halfen uns dabei herauszufinden, was in welchen Raum gebracht werden sollte. In der lang ersehnten Pause saßen alle im Wohnzimmer und aßen Pizza. Beim gemeinsamen Brotbrechen wurden alle Sprachbarrieren überwunden und wir saßen dort und lachten und konnten uns körperlich und geistig „aufladen“.
Wie beurteilen Sie den Zugang zur Unterstützung bei der Ansiedlung in Ihrer Gemeinschaft?
Es war eine ausgezeichnete Erfahrung. Die Stadt stand hinter der Neuansiedlung. Es gab ein Treffen im Rathaus, wo sich alle interessierten Parteien versammelten, um Ressourcen zu vereinen und zu erklären, wie jede Gruppe helfen könnte. Die Gemeinschaftsstiftung (eine lokale Bewilligungsorganisation) übernahm unterstützungsweise die Verantwortung und stellte sogar ein Jahr später Zuschüsse zur Fortführung des Neuansiedlungsprozesses bereit, da wir uns darüber im Klaren waren, dass dieser Prozess über die Frist von einem Jahr hinaus andauern würde.
Was gefällt Ihnen an Ihrer Sponsoring-Erfahrung am besten?
Einem anderen Menschen zu helfen, sein Leben neu zu beginnen, ist etwas Schönes. Wir haben nicht nur mitgeholfen, die Familie hierher zu bringen, wir haben auch zusammengearbeitet, um ihnen alle Werkzeuge zur Verfügung zu stellen, um dieses Unterfangen erfolgreich zu machen – Wohnung, Nahrung, Kleidung, Gesundheitsversorgung, Arbeitsmöglichkeiten, Bildungsmöglichkeiten, Computer und Auto. Mit dem Vorliegen dieser Voraussetzung glauben wir fest daran, dass es ihnen gelingen wird, ihr Leben in Kanada zu meistern und nicht nur auf eigenen Füßen zu stehen, sondern Erfolg zu haben und dem Land, das ihnen geholfen hat, etwas zurückzugeben.
Wie geht es den von Ihnen gesponserten Flüchtlingen heute?
Allem Anschein nach wirklich gut. Der Vater und die älteren Söhne haben Arbeit und die älteren Söhne planen, die Universität zu besuchen. Die jüngeren Kinder greifen die englische Sprache recht schnell auf, besuchen die Schule und machen ihre Sache gut. Die Flüchtlinge sind eigenständig, erzielen ein Einkommen und akklimatisieren sich in Ontario ziemlich reibungslos.